Andreas Reeg sieht als eine der Aufgaben der Fotografie in der heutigen Zeit die Sensibilisierung für Situationen und Schicksale. In seiner eigenen Arbeit hat er den „Arzt der Armen“ durch einige Stunden der Krise begleitet. Was er dabei erlebt hat und was sein persönlicher fotografischer Wunsch ist, hat er den #FacesOfPhotography erzählt:
Andreas, wie geht es Dir?
Danke, mir und meiner Familie geht es gut. Trotz der auftragsarmen Zeit habe ich volle Arbeitstage, wenn auch in reduzierterem Tempo, und mit mehr Pausen, die zur Freude von uns allen der Familienzeit zugute kommen. Vieles was sonst noch neben den Jobs geschah, füllt jetzt den Tag aus. Projektförderanträge, Newsletter, Webseitenoptimierung, die Steuer… Es gibt irgendwie immer was zu tun.
Was hast Du wirtschaftlich seit Beginn der Krise erlebt?
Bis in den April hinein hatte ich noch Aufträge. Meistens redaktionelle Portraits „mit Abstand“, was ich anfangs extrem seltsam fand, da es ja meist darum geht, eine Nähe zu den Portraitierten herzustellen. Dann gab es aber auch Momente, in denen ich diese Distanz gar nicht so schlecht fand, da ein besonderer gegenseitiger Respekt den Raum ausfüllte, der irgendwie etwas Verbindendes hatte. Eine interessante Erfahrung. Aber zurück zur eigentlichen Frage. Da ging es mir ähnlich wie den meisten anderen Kolleg*innen. Mein Kalender war bereits bis Juni mit schönen Jobs gefüllt und dann wurde alles komplett abgesagt. Die 1.500 € Soforthilfe, die ich erhielt waren da nur ein kleiner Trost. Glücklicherweise hatte das Jahr mit sehr viel Arbeit begonnen, was mich jetzt etwas abfedert. Ein Teil der Aufträge wurde auf August verschoben und gerade kommen wieder erste Anfragen für aktuelle Jobs. So bin ich weiterhin optimistisch, dass es ab Sommer wieder langsam bergauf geht.
Du hast an dem Thema „Pandemie, ganz unten“ gearbeitet – wie kam es dazu?
Die Zeit beauftragte die Autorin Caterina Lobenstein und mich, den Arzt Gerhard Trabert zwei Tage lang zu begleiten, um zu zeigen, wie sich die Corona-Pandemie auf den ärmsten Teil der Bevölkerung in Deutschland auswirkt. Gerhard Trabert versorgt seit über 20 Jahren arme und wohnungslose Menschen in Mainz und er ist mit seinem Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland e.V.“ die zur Zeit einzige Streetworker-Organisation, die seit dem Shutdown, von Armut betroffene Menschen in Mainz versorgt. Viele andere Einrichtungen für Wohnungslose wurden im Zuge der Pandemie geschlossen. Somit wurde die Situation für schutzlose Menschen noch prekärer. 2017 erschien mein Buch ARZT DER ARMEN über Gerhard Trabert und seine Patienten. Das erste Bild und die Idee zum Buch sind damals ebenso im Rahmen eines Auftrages für DIE ZEIT entstanden. Umso mehr hat es mich gefreut, dass die Redaktion mich wieder beauftragte um diese wichtige Geschichte mit zu erzählen.
Welche war Deine intensivste Erfahrung?
Mit Gerhard Trabert während der Arztmobilsprechstunde unterwegs zu sein ist voller intensiver Momente. Den emotional eindrücklichsten erlebten meine Kollegin und ich während Traberts Sprechstunde in einer Containersiedlung. Ich möchte dazu gerne einen Ausschnitt aus Caterina Lobensteins Text zitieren:
»Der nächste Patient hat zwei frisch genähte Schnitte am Bauch. Ein perforiertes Magengeschwür. „Daran hätten Sie sterben können“, sagt Trabert. Als er die Wunde reinigen will, rennt plötzlich unter Gebrüll ein bärtiger Hüne auf das Gelände, mit Gitarre auf dem Rücken und Stachelarmband am Handgelenk. „Ihr Huren!“, schreit er. „Ihr Homos!“ Trabert verdreht die Augen. Der Mann hat neulich in der Containersiedlung randaliert und hat seitdem Hausverbot. Doch weil die übrigen Heime wegen der Pandemie keine Neuen aufnehmen, weiß er nicht, wohin. Der Mann schreit und kratzt sich unaufhörlich. „Ich hab Stress, ihr Huren!“, brüllt er. „Ich hab’n Schub!“
“Der ist völlig betrunken“, sagt Trabert. „Aber wahrscheinlich hat er recht.“ Der Mann leidet an Schuppenflechte, und psychische Belastung beschert ihm heftige Krankheitsschübe. „Das kennt jeder, der bei Stress Herpesbläschen bekommt“, sagt Trabert. „Nur dass der Stress der Leute hier existenziell ist: Woher kriege ich was zu essen? Wo schlafe ich heute Nacht?“ Der Hüne wankt auf Trabert zu. „Normalerweise würde ich ihn einfach in den Arm nehmen“, sagt Trabert. Damit ließen sich selbst die aggressivsten Patienten besänftigen. „Aber das geht ja jetzt nicht mehr.“ Er reicht dem Hünen eine Salbe. „Danke, Herr Professor“, sagt der und zieht davon.« Den Ganzen Artikel gibt es hier zu lesen: DIE ZEIT Nr. 20/2020
Was denkst Du, was ist die Aufgabe der Fotografie gerade in diesen Zeiten?
Ein großer Wert liegt sicherlich in der Dokumentation für nachfolgende Generationen, aber vor allem in intensiven Fotoprojekten, die uns im Jetzt für die Situation, für Schicksale sensibilisieren, unser Verhalten im besten Falle positiv beeinflussen und dadurch den Verlauf der ganzen Sache mit zum Guten beeinflussen. Andrea Frazzettas Portraits von norditalienischen Ärzten, Pflegern und Krankenhausbeschäftigten ist hierfür ein starkes Beispiel, das mich sehr berührt hat und mir neben all den Zahlen, das erschreckende Ausmaß der Krise in Italien, emotional klar gemacht hat.
Was ist Dein persönlicher fotografischer Wunsch für die Zukunft?
Meine freien Projekte zu sozialen Themen bedeuten mir viel und ich wünsche mir weiterhin die Zeit, diese neben meinen Aufträgen realisieren zu können. Und natürlich wünsche ich mir wieder den alten Umfang an Fotoaufträgen zurück, für die ich sehr dankbar war und die mir neben dem Spaß an den vielen Begegnungen, den Lebensunterhalt für mich und meine Familie einbrachten. Ich fühlte mich schon immer privilegiert, von Fotografie leben zu können und mit ihr die Möglichkeit zu haben, wichtige Themen nach draußen kommunizieren zu können. Dieses Privileg will ich weiterhin für Menschen und gesellschaftlich relevante Themen einsetzen, die wenig Aufmerksamkeit erhalten, diese aber verdienen.
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